Nur noch eine Stunde Muttersprache
Baden-Baden (kie) – Polen reduziert den Deutschunterricht für Angehörige der deutschen Minderheit im Land. Interessenvertreter und ein Expertengremium des Europarats kritisieren die Entscheidung.

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Sichtbares Zeichen: Rund zwei Prozent der etwa 38 Millionen Polen gehören der deutschen Minderheit an. Foto: Krzysztof Swiderski/PAP/dpa
Baden-Baden – 150.000 Personen in Polen gaben bei einer Volkszählung im Jahr 2011 an, deutsch zu sein. Schätzungen zufolge dürften es einige mehr sein, doch mit einem Anteil von rund zwei Prozent an der Bevölkerung sind die Deutschen in Polen eine Minderheit im Land – und zwar eine anerkannte. Bisher erhielten ihre Kinder an öffentlichen Schulen deshalb drei Stunden Deutschunterricht. Doch nun wurden die dafür vorgesehenen Mittel um umgerechnet rund zehn Millionen Euro gekürzt. Das eingesparte Geld sollen polnische Organisationen in Deutschland erhalten. Doch gegen diese Entscheidung regt sich Widerstand.
Verordnung soll zum neuen Schuljahr in Kraft treten
Laut deutsch-polnischem Nachbarschaftsvertrag aus dem Jahr 1991 steht den Angehörigen der Minderheit in Polen drei Stunden Deutschunterricht zu. Doch nun hat die rechtskonservative PiS-Regierung eine entsprechende Verordnung dahingehend geändert, dass nicht allen Minderheiten im Land, sondern nur den Deutschen nur noch eine Wochenstunde Unterricht zusteht. Zum neuen Schuljahr soll die Verordnung in Kraft treten.
Begründet wird dies damit, dass die rund zwei Millionen in Deutschland lebenden Polen keinen vergleichbaren Minderheitenschutz von der Bundesregierung eingeräumt bekommen. Das Argument ist nicht neu: Immer wieder betonten polnische Regierungsvertreter in der Vergangenheit, dass auch Polen in Deutschland den Minderheitenstatus erhalten sollten – so wie die vier anerkannten nationalen Minderheiten (Sinti und Roma, Dänen, Sorben, Friesen).
Gegen die jüngste Entscheidung regt sich Unmut: Bereits 7.000 Unterschriften wurden für eine entsprechende Petition des Verbands der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) gesammelt. Der Jugendverband der Minderheit ruft zudem dazu auf, unter den Hashtags #niemaMowy #sprachlos Schwarz-Weiß-Fotos mit zugehaltenem Mund in den sozialen Netzwerken zu posten.
„Diskriminierung, um außenpolitische Ziele mit Druck zu versehen“
Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, kritisiert die polnische Entscheidung in einer Stellungnahme: Es sei „inakzeptabel, dass Polen durch diese Entscheidung eigene Staatsbürger diskriminiert und benachteiligt, um außenpolitische Ziele für andere Personengruppen mit Druck zu versehen.“ Dass ein mangelndes Unterrichtsangebot auf Polnisch in Deutschland bestehe, ist laut Fabritius zudem „unzutreffend“ – die Sprachförderung erfolge vielmehr entsprechend des föderalen Bildungssystems auf Länderebene. In Nordrhein-Westfalen, wo die meisten polnischstämmigen Einwohner leben, erhielten derzeit knapp 5.100 Schüler Polnischunterricht, gibt er an.
Der VdG verurteilt die Unterrichtsreduzierung in einer Stellungnahme als „Diskriminierung“ und „Stigmatisierung“ und wandte sich mit dem Schreiben auch direkt an die Adresse des Sachverständigenausschusses der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats, die von Polen und 24 weiteren Ländern ratifiziert worden ist. Am Mittwoch äußerte sich das Expertengremium in Straßburg besorgt über die Unterrichtsreduzierung – und bat die polnische Regierung um weitere Auskünfte.