Versöhnungsarbeit mit KZ-Überlebenden
Freiburg (kli) – „Fragt uns, wir sind die letzten.“ So lautet ein Motto des Maximilian-Kolbe-Werks. Der Verein mit Sitz in Freiburg widmet sich der Versöhnung mit Überlebenden der Konzentrationslager.

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Das Holocaust-Mahnmal in Berlin: Die Vergangenheit prägt den Gedenktag, doch mit zunehmendem zeitlichen Abstand verändert sich auch die Erinnerungskultur. Foto: Wolfgang Krumm/dpa
Seit seiner Gründung 1973 hat das Werk bisher mehr als 14.000 ehemalige KZ-Häftlinge aus Mittel- und Osteuropa zu Begegnungen nach Deutschland geholt. Am internationalen Holocaust-Gedenktag blicken Geschäftsführer Christoph Kulessa und seine Stellvertreterin Danuta Teresa Konieczny dankbar zurück. Ihre Erinnerungsarbeit ändert sich zusehends – zum einen wegen der Corona-Krise, die persönliche Begegnungen derzeit unmöglich macht. Und zum anderen, weil es heute nur noch wenige Überlebende gibt.
Alles begann mit einer Reise der deutschen Sektion von „Pax Christi“ 1964 nach Polen. In Auschwitz begegnete die Reisegruppe ehemaligen KZ-Häftlingen. Zurück in der deutschen Heimat entstand daraus schnell eine Solidaritätsaktion, die 1973 in die Gründung des Kolbe-Werks durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie katholische Verbände mündete. Seitdem gab es viele Reisen und Begegnungen – nur zur Zeit liegt diese Arbeit coronabedingt brach. „‚Helfen, Begegnen, Erinnern‘ lautet eigentlich unser Motto. Doch zur Zeit heißt der Dreiklang wegen Corona nur Helfen, Helfen, Helfen“, berichtet Kulessa. Konieczny ergänzt: „Ich habe noch nie so viel mit Überlebenden telefoniert wie zurzeit. Und wir haben Hunderte Briefe geschrieben.“ Das Kolbe-Werk will den Holocaust-Überlebenden auch in Pandemiezeiten nahe sein.
Kooperation mit Kindern der Überlebenden
Das Versöhnungswerk startete früh und unabhängig von staatlichen Stellen. „Als in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, Anfang der 80er Jahre, haben wir viele Hilfspakete nach Polen geschickt. Mit Überlebenden haben wir damals ein Verteilsystem aufgebaut, daraus ist ein ganzes Netz von Ehrenamtlichen in ganz Polen entstanden“, erzählt Kulessa. Mittlerweile arbeite man bereits mit den Kindern der Überlebenden zusammen, und räumlich kamen Länder wie Ukraine, Russland und Belarus dazu. Im Dezember haben sie 3 000 Kalender nach Polen geschickt. „Das war ein Versuch, eine Brücke zu bauen“, erzählt Kulessa. Besuchsdienste fallen wegen Corona leider weg.

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Christoph Kulessa. Foto: Maximilian-Kolbe-Werk
In den vergangenen Jahren sind immer mehr frühere Häftlinge gestorben. Auschwitz wurde vor nunmehr 76 Jahren befreit. „Die jüngsten Überlebenden sind 76, wurden kurz vor Kriegsende geboren, die Ältesten sind über 100. Die meisten sind älter als 90“, berichtet Konieczny. Seit dem Jahr 2000 seien 90 Prozent der Überlebenden gestorben. Im Herbst 2020 gab es laut Schätzungen noch 18.000-19.000 Überlebende in Polen und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
So lange es Überlebende gibt, soll Arbeit weiterlaufen
„Es gibt nicht mehr viele Aktivisten, denen das Thema am Herzen liegt. Sie werden älter und können so langsam nicht mehr“, sagt Konieczny. Aber so lange es noch Überlebende gibt, versichert Kulessa, werde man die Arbeit fortsetzen. „So lange es möglich und nötig sein wird.“Konieczny fand es immer sehr berührend, Begegnungen mit Zeitzeugen in Deutschland zu organisieren. Zum Teil werden sie von ihren Kindern und Enkeln nach Deutschland begleitet. „Einmal hat eine Tochter erst hier, bei einem Zeitzeugengespräch in der Schule, die Geschichte ihrer Mutter vollständig gehört. Das war für alle sehr bewegend“, erzählt Konieczny.
Etwa 4.500 Spender bundesweit sorgen jährlich für bis zu 900.000 Euro Spenden. Da wegen Corona derzeit keine Begegnungen stattfinden, kann der Verein umso mehr Hilfen in die Länder schicken, seien es Einmalzuschüsse oder Zuschüsse für häusliche Pflege oder auch Lebensmittelpakete zu Weihnachten.
Ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein in Deutschland
Das Interesse in Deutschland an Zeitzeugenbegegnungen sei riesig, sagt Konieczny. „Wir können die Nachfrage gar nicht befriedigen, so viele Schulen melden sich bei uns.“
Die allermeisten früheren KZ-Häftlinge hätten inzwischen ein positives Deutschlandbild. „99 Prozent der Überlebenden sagen, die Nazi-Generation sei anders als die heutigen Deutschen. Es ist nicht das Deutschland, das sie als Jugendliche kennengelernt haben. Angst hierher zu kommen, haben sie nicht. Viele schwärmen von unserer Kanzlerin“, schmunzelt Konieczny.

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Danuta Teresa Konieczny. Foto: Maximilian-Kolbe-Werk
Das Bewusstsein, sich der Geschichte zu stellen, sei in Deutschland ausgeprägt. Dem pflichtet Kulessa bei. „Die Erinnerungskultur in Deutschland ist lebendig. Wenn Alexander Gauland die zwölf Nazi-Jahre als Vogelschiss der Geschichte bezeichnet, ist der Aufschrei groß. Das zeigt, dass das Thema sehr präsent ist. Wenn Fremdenfeindlichkeit zutage tritt, stehen die Menschen auf.“
Helfen, begegnen, erinnern: Die Arbeit des Kolbe-Werks ändert sich. Irgendwann in naher Zukunft wird es die Arbeit vielleicht einstellen können, weil es keine Überlebenden mehr gibt. Kulessa aber sagt auch: „Versöhnung wird auch in Zukunft ein Thema sein.“ Für das Kolbe-Werk wie für die ganze Gesellschaft.